AktuellesReformator zum Wohl der Patienten

Mittwoch, 2. April 2025


Pressemitteilung

Abbildung: Reformator zum Wohl der Patienten

Kassel – Als Heinrich Kunze zum ersten Mal eine Psychiatrie betrat, war er erschüttert. Die Umstände, in denen Menschen dort lebten, empfand er als unmenschlich. Das ist mittlerweile über ein halbes Jahrhundert her. Aber für Kunze war dieser Eindruck entscheidend. Sein ganzes Berufsleben lang setzte er sich für die Psychiatriereform ein. Oder anders gesagt: Dafür, dass dieser Eindruck nicht mehr entstehen muss.

Heute wird Heinrich Kunze 85 Jahre alt. Und obwohl der Großvater von sechs Enkeln, Psychiater und ehemaliger Ärztlicher Direktor der Psychiatrie in Merxhausen längst im Ruhestand ist, beobachtet er noch immer die Entwicklungen, die er selbst vor Jahren mit angestoßen hat.

Auf dem Tisch in seiner Wohnung in Kassel liegen unzählige Bücher und Zeitungsartikel, die davon erzählen. Seine Frau, Marianne Kunze-Turmann, ebenfalls Psychiaterin, sitzt ihm gegenüber und begleitet seine Erinnerungen, so wie sie ihn auch zu einigen Studienreisen begleitet hatte. Ihr Engagement für die Psychiatrie haben sie sich geteilt. Sie haben sich verstärkt und getröstet, sagt sie. Sie, die Psychiaterin für Kinder und Jugendliche, er der Psychiater für Erwachsene.

Zurück zu seinen ersten Eindrücken in der Psychiatrie: Als junger Psychiater merkt Kunze schnell, dass sich etwas ändern muss. Er sieht Anstalten fernab der Zivilisation, in denen Patienten, geschlechtlich getrennt „kaserniert“ gewesen seien. Er sieht Häuser, in denen nur Ärzte verkehren. Menschen, deren Familien weit weg sind. „Patienten mussten sich nach den Konzepten der Psychiatrie richten.“ Eigentlich, findet der junge Kunze, muss es doch andersherum sein. Es brauchte eine „kopernikanische Wende“: bessere Bedingungen für psychisch Kranke.

Wie dieses andersherum aussehen kann, wie man Psychiatrie unter die Menschen bringen und Patienten raus aus den Anstalten holen kann, lernt das Ehepaar auf einer Studienreise, erst in Denver, dann in London. Dort werden psychisch Kranke auch von Ergotherapeuten, Sozialarbeitern und Pflegern betreut und leben in Wohngemeinschaften, in normaler Umgebung. „Wenn sie nicht zu Hause betreut werden konnten, hat man ein zu Hause für sie kreiert.“ Das will Kunze mit nach Deutschland nehmen.

Dort angekommen, versucht das Paar, das Gelernte umzusetzen. Zunächst am psychiatrischen Landeskrankenhaus bei Heilbronn. Dort findet Kunze im Rahmen seiner Habilitation heraus, wie viele Patienten Anfang der 70er-Jahre aus der Klinik entlassen wurden und was mit ihnen geschah. Sie seien in weit entfernte geschlossene Heime verschwunden, als Pflegefälle dauerhaft ausgegrenzt worden. Mit dem Willen zur Wende eröffnet Kunze mit anderen das Therapeutikum in Heilbronn, die erste Nachsorgeeinrichtung für psychisch kranke Menschen mit multiprofessioneller Betreuung, die es heute noch gibt. „Das war damals wichtige Öffentlichkeitsarbeit, denn diese neue Form war umstritten“, sagt Marianne Kunze-Turmann. Zu groß ist die Angst, Patienten zu überfordern, zu groß die Sorge, es könnte zu Übergriffen kommen. Nach Kunzes Erfahrungen hatte sich das nicht bewahrheitet. Die Probleme waren in offenen Wohnformen nicht größer als in anderen Einrichtungen. Mit diesen Erkenntnissen wird Kunze auf vielen Posten, in Kommissionen, Beiräten, als Experte für die Bundesregierung und in zahlreichen Veröffentlichungen zum Botschafter für die Psychiatriereform.

In Merxhausen kann er sie ab 1984 als Ärztlicher Direktor umsetzen. Besonders im Gedächtnis sind ihm dort die Klosterspiele, die Mitarbeiter mit Dorfbewohnern und Patienten auf die Beine gestellt haben und das bis heute tun.

Vergleicht er seine ersten erschreckenden Eindrücke mit der Situation von heute, ist Heinrich Kunze zufrieden. Viele seiner Ziele sind auch nach seinem Berufsleben von seinen Nachfolgern weiterverfolgt worden. Das zu sehen, freut ihn. 

Zehn Fragen

  • Mein Lieblingsessen: irischer Räucherlachs
  • Mein Sehnsuchtsort: Baikalsee
  • Das bringt mich auf die Palme: Missachtung von Patientenrechten
  • Mein Ausgleich: Orchestermusik
  • Mein Traumjob als Kind: Lokomotivführer
  • Dafür brenne ich: Freunde treffen
  • Mein Idol: Dietrich Bonhoeffer
  • Mein wichtigster Wert: Frieden
  • Meine größte Schwäche: Glas Rotwein am Abend
  • Das will ich unbedingt noch machen: meinen Geburtstag mit Familie und Freunden feiern

 © Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte), Valerie Schaub


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