AktuellesWie zwei Frauen ihren Weg ins Leben finden
Donnerstag, 13. November 2025
Depression oder Schizophrenie: Heike Isabell Dengel und Selif Sarbalkan erzählen, was ihnen hilft und wo sie Halt finden

HEILBRONN Es sind zwei sehr unterschiedliche Frauen, die zum Gespräch im Therapeutikum in Heilbronn zusammenkommen. Heike Isabell Dengel, 34 Jahre alt, und Selif Sarbalkan, 54, verwitwet, eine Tochter, einen Sohn, sie selbst ist das Kind türkischer Arbeitsmigranten, erzählt sie.
Was sie eint, ist ihr Mut. Dass sie offen und mit Namen und Foto zu dem stehen, was einen wesentlichen Teil ihres Lebens ausmacht: ihre psychische Krankheit. Damit wollen sie anderen Betroffenen Mut machen. Und das nicht nur in der Woche der seelischen Gesundheit, die jüngst stattgefunden hat.
Heike Isabell Dengel, eine gepflegte Frau, die Augen sorgfältig geschminkt, erzählt mit klarer Stimme, wie es war, als sie als Kind mit dem Bus zur Förderschule fahren musste und von ehemaligen Klassenkameraden der Grundschule gehänselt wurde. „Die reinste Folter. Ich hatte Panikattacken“ Vom sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ Lernen) kommend, schafft sie den Hauptschulabschluss „als einzige“, wie sie stolz erzählt, doch die Freude währt kurz. Der Start ins Arbeitsleben gerät holprig.
Burnout Sie wird Alltagsbegleiterin, arbeitet im Verkauf, in der Pflege, beim Frisör, in der Küche, im Kindergarten. „Überall war ich anscheinend zu langsam.“ Häufig wird sie krank. Dann wieder: Ein neuer Start, ein neuer Arbeitgeber – „bis ich einen Burnout bekam, eine tiefe Depression“. Als Suizidgedanken sie heimsuchen, offenbart sie sich den Eltern: „Ich brauche Hilfe, habe ich gesagt.“
Die Einstellung mit Medikamenten, eine Reha, die therapeutische Anbindung: all das hilft ihr, stabiler im Leben zu stehen, auch wenn die nächsten Versuche auf dem ersten Arbeitsmarkt scheitern. Im Therapeutikum in Heilbronn-Sontheim für von seelischer Behinderung bedrohte Menschen lernt sie ihre Arbeit in der Mediengestaltung lieben. Sie entwirft Flyer, Türschilder und Visitenkarten für den internen Gebrauch. „Das hat mir Hoffnung gegeben, das erfüllt mich.“ Sie wohnt allein, Freunde und Familie bleiben ihr Anker.
Selif Sarbalkan hat ihr Lebensthema zum Beruf gemacht. Sie ist Genesungsbegleiterin im Therapeutikum, hilft und spricht mit Menschen wie Heike Isabell Dengel. Schon als sie ein kleines Mädchen ist, fällt ihrer Mutter auf: „Das Kind bekommt nichts strukturiert, und Sozialkontakte hat es auch nicht.“ Mit eisernem Willen schafft sie die Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Schon damals hört sie Stimmen, meint, sie könne Gedanken lesen. Nach einem Suizidversuch kommt sie ins Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg. Diagnose: Schizophrenie.
Medikamentös eingestellt, schafft sie es, jahrelang zu arbeiten, aber als ihr mit zwei kleinen Kindern der Mann stirbt, sich die Fehlzeiten häufen, „da wurde ich aus dem Job gedrängt“. Sie wird krankheitsbedingt Frührentnerin, qualifiziert sich nach Jahren zur ehrenamtlichen Sprachmittlerin für türkisch und deutsch für die Stadt Heilbronn und bringt sich in der Quartiersarbeit ein.
2018 beginnt sie eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin, bricht zunächst ab, „weil mich die Themen so aufgewühlt haben“ und wagt erfolgreich einen zweiten Anlauf. Inzwischen berät sie im Therapeutikum Menschen mit psychiatrischen Diagnosen und bietet Gesprächsspaziergänge an. „Symptomfrei bin ich nicht“, sagt sie. Chronische Müdigkeit, vor allem morgens, begleitet sie. Negative Reaktionen der Umwelt auf ihre Krankheit kennt sie zur Genüge. Der Nachbar, der ihr das Leben schwer macht, bereitet ihr Bauchschmerzen.
Verunsicherung Trotz allem findet Dr. Steffen Creuz, ärztlicher Leiter der medizinisch-beruflichen Reha im Therapeutikum, dass die Tabuisierung psychischer Krankheiten nicht mehr im Vordergrund steht. Im Arbeitsumfeld dominiere eher Verunsicherung. Er findet es wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen. „Oft kann eine Vermittlung hilfreich sein.“ Privat rät er dazu, sich engen Bezugspersonen zu offenbaren. „Ich würde nicht damit hausieren gehen.“
© Heilbronner Stimme / Redakteurin: Petra Müller-Kromer Foto: Ralf Seidel
