AktuellesPerspektive für psychiatrisch Kranke

Dienstag, 16. November 2021


Pressemitteilung

Abbildung: Perspektive für psychiatrisch Kranke

Seit 50 Jahren leben Menschen mit Schizophrenie oder Persönlichkeitsstörungen im Therapeutikum

"Ich wünsche mir Kraft in den Knochen, Kraft zum Leben." Auf Fragebogen haben psychiatrisch Erkrankte des Heilbronner Therapeutikums aufgeschrieben, was sie bewegt. Menschen wie der Mann in den Vierzigern, der in seiner Single-Wohnung zwar zurecht kommt, sich aber nicht zum Einkaufen traut, und dafür Hilfe benötigt. Hilfe, die das Therapeutikum bietet. Denn eins liegt der couragierten Geschäftsführerin Martina Wieland besonders am Herzen: "Das Leben endet nicht, wenn man psychiatrisch erkrankt ist. Vieles ist behandelbar. Meine Botschaft an Eltern ist: Verzweifelt nicht an eurem Kind."

Entstigmatisierung psychiatrischer Krankheiten ist ihr Ziel. Seit 50 Jahren bietet das Therapeutikum eine Perspektive für Menschen mit schwerer Schizophrenie, mit Borderline Syndrom, Depressionen und, inzwischen am häufigsten: Persönlichkeitsstörungen. Die Einrichtung setzt da an, wo der Aufenthalt im Klinikum am Weissenhof in Weinsberg endet.

Rückfälle Bis 1971 wurden Patienten nach ihrer Zeit im dortigen Zentrum für Psychiatrie (ZfP) ohne weitere Begleitung nach Hause entlassen. Die Folge: Rückfälle, erneute Klinikaufenthalte, teils über Jahrzehnte. Das Therapeutikum war in den 80ern mit seinem innovativen Ansatz eine der ersten Nachsorgeeinrichtungen dieser Art in Baden-Württemberg und die erste in der Region Heilbronn-Franken. Damals habe es keine Finanzierungsmodelle gegeben, lediglich Wohnheime und Beschützende Werkstätten für geistig Behinderte, erzählt Martina Wieland. An dieses Modell dockten die Nachsorge-Häuser für Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen an. „Rehabilitanden“ nennt die 56-Jährige die bis zu 450 Menschen im Therapeutikum, „weil das Wort Reha Hoffnung macht und positiv besetzt ist“. Sie leben so autark wie möglich in kleinen Wohngruppen mit maximal 14 Leuten und arbeiten in hauseigenen Werkstätten. „Wir holen sie da ab, wo ihr Umfeld nicht mehr mit ihnen klarkommt. Und sie sind wahnsinnig dankbar, dass es das Therapeutikum gibt. “

In Heilbronn gliedert sich das Haus in der Sontheimer Kreuzäckerstraße in unterschiedliche Bereiche. Da ist zum einen die psychiatrische Reha, auch hier klaffte lange eine Versorgungslücke. Sozialarbeiter, Psychiater und Psychologen arbeiten konzentriert daran, ihre im Durchschnitt 20- bis 40-jährige Klientel wieder fit für den Alltag zu machen. „Diese Reha dauert anderthalb bis zwei Jahre, und sie ist wirklich ein Erfolgsmodell“, so Wieland. Rund 30 Plätze gibt es hier.

Einzugsgebiet Das Einzugsgebiet des Therapeutikums im Heilbronner Teilort Sontheim umfasst die Region Heilbronn-Franken. Manche Patienten wohnen und arbeiten Jahrzehnte hier. Im europäischen Ausland, etwa in Frankreich und Italien, gibt es keine vergleichbaren Einrichtungen, so Geschäftsführerin Martina Wieland. Die gelernte Krankenschwester hat Betriebswirtschaftslehre studiert, war im SLK Klinikum Assistentin der Geschäftsleitung und Leiterin des Controllings und führt seit 17 Jahren das Therapeutikum.

Arbeit Weitaus mehr, nämlich 400 Plätze, gibt es für Menschen, die eine längere Verweildauer haben, rund 160 davon wohnen extern, häufig noch bei den Eltern, 240 in Wohngemeinschaften des Therapeutikums. Viele schätzen die Arbeit sehr, die sie hier leisten können, und haben darunter gelitten, dass im ersten Corona-Lockdown ihre Werkstätten schlossen. „Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen sind die am meisten ausgeschlossene Gruppe am Arbeitsmarkt“, weiß Wieland. Sie ist stolz auf deren Leistung: „In jedem Porsche Cayenne stecken unsere Stoßdämpfer, in jedem A4 und A6.“ Auch Steckverbindungen und Kaffeetassenwärmer für den Hotelbedarf sowie Bollerwagen gehören zum Repertoire. Selbst Menschen aus dem Pflegeheim kommen zum Arbeiten in die Werkstatt, andere Bewohner schreiben Texte für das hauseigene Magazin Wahnsinnswelt.

Von unserer Redakteurin Petra Müller-Kromer
© Heilbronner Stimme


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